Urt. v. 03.04.1996, Az.: IV ZR 344/94
Verfahrensgang:
vorgehend:
OLG Frankfurt am Main – 24.10.1994
Rechtsgrundlagen:
NJW-RR 1996, 795-796 (Volltext mit red. LS)
BGH, 03.04.1996 – IV ZR 344/94
Amtlicher Leitsatz:
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1.
Für die Berufsunfähigkeit kommt es weder auf die Berufsbezeichnung im Versicherungsantrag oder im Versicherungsschein noch auf das allgemeine Berufsbild an, sondern auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung.
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2.
Für den Eintritt des Versicherungsfalls ist die rückschauende Feststellung des Zeitpunkts entscheidend, zu dem erstmals ein Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft eine Besserung nicht mehr erwarten ließ.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz,
die Richterin Dr. Ritter und
die Richter Römer, Terno und Seiffert
auf die mündliche Verhandlung vom 3. April 1996
für Recht erkannt:
Tenor:
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1.
Auf die Revisionen beider Parteien wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. Oktober 1994 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als darin zum Nachteil der Beklagten erkannt und der weitergehende Antrag des Klägers auf Rentenzahlungen ab 1. März 1991 zuzüglich 4% Zinsen auf die rückständigen Vierteljahresbeträge ab 5. März, 5. Juni, 5. September und 5. Dezember 1991 und der folgenden Jahre abgewiesen worden ist.
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2.
Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von der Beklagten die vertraglich für den Fall der Berufsunfähigkeit von mindestens 50% zugesagte, vierteljährlich im voraus zahlbare monatliche Rente von 2.000 DM ab 1. März 1988 bis längstens 1. Dezember 2013 (Vertragsende) beanspruchen kann.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1987 eine Lebensversicherung unter Einschluß einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Letzterer liegen Bedingungen zugrunde, die bezüglich des Eintritts des Versicherungsfalles den Musterbedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung aus dem Jahre 1975 (VerBAV 1975, 2) entsprechen. Im Versicherungsantrag ist als Beruf und ausgeübte Tätigkeit “Tennislehrer” genannt. Sein jährliches Nettoeinkommen hatte der Kläger in einem Zusatzfragebogen mit 39.000 DM angegeben. Da sein zu versteuerndes Einkommen 1987 nur 11.510 DM betragen hatte, ist die Beklagte mit Schreiben vom 6. November 1990 wegen Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit gemäß §§ 16 ff. VVG vom Vertrag über die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zurückgetreten.
Der 1958 geborene Kläger studierte nach dem Abitur zwei Semester Germanistik. Anschließend arbeitete er als angestellter Tennislehrer in einem Ferienclub und seit 1982 als selbständiger Tennislehrer. Zuletzt war er Vereinstrainer in einem Tennisclub und spielte in der Mannschaft aktiv mit. Daneben war er als Trainer bei einem weiteren Tennisclub tätig und gab außerdem private Trainerstunden.
Am 5. Februar 1988 erlitt der Kläger beim Sturz in einen Kellerschacht eine Knieverletzung. Nach zweimaliger Operation wurde der Meniskus entfernt. Aufgrund der Unfallfolgen gab der Kläger seine Tätigkeit als Vereinstrainer auf und erteilte nur noch vereinzelt Tennisunterricht. Er nahm im Mai 1989 eine Teilzeitbeschäftigung als Angestellter einer Fluggesellschaft auf, die er jetzt noch ausübt.
Der Kläger hält sich seit März 1988 für berufsunfähig. Er hat behauptet, aufgrund der Kniegelenksverletzung als Trainer für die Vereinsmannschaft und für leistungsstarke Spieler nicht mehr einsatzfähig zu sein. Diese Art der Beschäftigung habe seine zuletzt ausgeübte Berufstätigkeit geprägt. Er sei nur noch in der Lage, Kindern und Anfängern zwei bis drei Stunden täglich Unterricht zu erteilen.
Die Beklagte hat geltend gemacht, der Kläger könne den Beruf eines Tennislehrers noch ausüben. Wie er selbst eingeräumt habe, gebe er noch in erheblichem Umfang Tennisstunden. Auf die Einsatzfähigkeit als Trainer für leistungsstarke Spieler komme es nicht an. Nach der zum Vertragsinhalt gewordenen Angabe im Versicherungsantrag sei er nur in seiner Funktion als Tennislehrer und nicht als Tennistrainer versichert. Davon abgesehen müsse er sich auf den Beruf eines Animateurs, Sportartikelverkäufers oder den von ihm jetzt ausgeübten Beruf eines Angestellten bei einer Fluggesellschaft verweisen lassen. Im übrigen sei sie aufgrund des Rücktritts nicht zur Leistung verpflichtet.
Das Landgericht hat die auf Zahlung der Rente ab 1. März 1988 und auf Feststellung der Unwirksamkeit des Rücktritts gerichtete Klage abgewiesen, weil die Beklagte wirksam vom Vertrag zurückgetreten sei. Das Berufungsgericht hat dem Kläger eine Rente für die Zeit vom 1. März 1988 bis zum 1. März 1991 nebst Zinsen zugesprochen und die Berufung im übrigen zurückgewiesen.
Gegen das Berufungsurteil haben beide Parteien Revision eingelegt. Soweit die Revision des Klägers gegen die Abweisung des Feststellungsantrags gerichtet war, hat der Senat die Annahme abgelehnt. Im übrigen verfolgt der Kläger den geltend gemachten Rentenanspruch mit einer geringfügigen Reduzierung hinsichtlich der Zinsen weiter. Die Beklagte erstrebt die volle Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen beider Parteien führen im Umfang der Annahme zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
1.
Das Berufungsgericht nimmt an, der Kläger habe den Nachweis geführt, daß er zunächst zu mehr als 50% berufsunfähig im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen gewesen sei. Dr. Sa. habe in seiner Stellungnahme vom 24. November 1988 (die die Beklagte angefordert hatte) die Berufsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt mit 100% angegeben und ausgeführt, daß ein Wiedereintreten der Berufsfähigkeit nicht abzusehen sei. Seine Feststellungen und Schlußfolgerungen seien durch das (im Schadensersatzprozeß des Klägers erstattete) beigezogene Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 11. März 1991 und die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. F. nicht widerlegt. Vielmehr gingen beide Sachverständige gleichfalls davon aus, daß zunächst eine Berufsunfähigkeit des Klägers vorgelegen habe. Aus den Gutachten dieser Sachverständigen ergebe sich aber auch eindeutig, daß sich die Situation für den Kläger durch Zeitablauf erheblich verbessert habe und daß zumindest am 11. März 1991 nicht mehr von einer Berufsunfähigkeit zu 50% für den Beruf eines Tennislehrers auszugehen sei. Beide Sachverständige hätten die Berufsunfähigkeit des Klägers als Tennislehrer für Anfänger nicht mit über 50% bewertet. Zwar hätten sie die Berufsunfähigkeit hinsichtlich der Tätigkeit als Tennistrainer für leistungsstarke Spieler mit über 50% bewertet, darauf komme es jedoch nicht an. Entsprechend den Angaben im Versicherungsantrag sei der Kläger nur als Tennislehrer versichert, nicht als Trainer für Leistungssportler oder als deren Sparringspartner.
2.
Diese Ausführungen sind zum Nachteil beider Parteien rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des Berufungsgerichts bilden keine tragfähige Grundlage für eine positive oder negative Beurteilung der Berufsunfähigkeit.
a)
Das Berufungsgericht ist zum Nachteil des Klägers von einem falschen Begriff des Berufs ausgegangen, zu dessen Ausübung der Versicherte außerstande sein muß. Maßgebend ist die zuletzt ausgeübte Tätigkeit in ihrer konkreten Ausgestaltung, nicht die Bezeichnung im Versicherungsantrag oder im Versicherungsschein oder das allgemeine Berufsbild (Senatsurteil vom 16.3.1994 – IV ZR 110/92 – VersR 1994, 587 unter 2 a; BGHZ 119, 263, 265 ff.) [BGH 30.09.1992 – IV ZR 227/91].
Es kommt deshalb nicht auf die zum Berufsbild eines Tennislehrers gehörenden Tätigkeiten oder auf Ausschnitte daraus (“Tennislehrer für Anfänger”) an, sondern auf die vom Kläger vor dem Unfall vom 5. Februar 1988 konkret ausgeübte Tätigkeit. Dazu hat er vorgetragen, daß er nicht nur Kinder und Anfänger unterrichtet habe, sondern daß seine Tätigkeit durch das Trainieren einer Vereinsmannschaft und leistungsstarker Spieler zweier Vereine geprägt gewesen sei. Nach der Zurückverweisung wird der Kläger Gelegenheit haben, Einzelheiten zu Art und Umfang der jeweiligen Tätigkeit vorzutragen und dafür gegebenenfalls Beweis anzutreten. Nach Klärung dieses außermedizinischen Sachverhalts ist der medizinische Sachverständige zu fragen, ob der Kläger infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, insbesondere der Folgen der Knieverletzung, außerstande war, seine konkrete Tennislehrer- oder Tennistrainertätigkeit zu mindestens 50% auszuüben. Nach den Gutachten der Sachverständigen Dr. F. und Prof. Dr. R. erscheint es nicht ausgeschlossen, daß der Kläger dies auch nach dem 1. März 1991 nicht konnte.
b)
Die Annahme einer Berufsunfähigkeit für den Zeitraum vom 1. März 1988 bis zum 1. März 1991 wird von der Beklagten mit Recht als fehlerhaft beanstandet. Für den Eintritt des Versicherungsfalles ist entscheidend die rückschauende Feststellung des Zeitpunkts, zu dem erstmals ein Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigte (Senatsurteil vom 22.2.1984 – IVa ZR 63/82 – VersR 1984, 630 unter III a.E.).
Die ärztlichen Stellungnahmen, auf die sich das Berufungsgericht stützt, rechtfertigen eine solche Prognose nicht. Weshalb Berufsunfähigkeit bereits am 1. März 1988 eingetreten ist, hat das Berufungsgericht nicht näher ausgeführt. Dr. Sa., der den Kläger seit 9. Juni 1988 behandelt hatte, hat in seiner Stellungnahme vom 24. November 1988 Berufsunfähigkeit erst ab dem 11. August 1988 attestiert. Er hat volle Berufsunfähigkeit auch für den 24. November 1988 angenommen und gemeint, ein Wiedereintreten der Berufsfähigkeit sei nicht abzusehen. Andererseits hält er eine Nachuntersuchung ein halbes Jahr nach der Knieoperation vom 15. September 1988 für angezeigt. Dies begründet – vom Berufungsgericht nicht ausgeräumte – Zweifel daran, ob Dr. Sa. eine Besserung nicht mehr erwartete. Abgesehen davon durfte das Berufungsgericht sich für seine Überzeugungsbildung nicht entscheidend auf das Attest von Dr. Sa., stützen, weil die Beklagte die Berufsunfähigkeit bestritten hatte. Offenbar hatte das Berufungsgericht dies ursprünglich auch so gesehen, weil es die Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Dr. F. angeordnet hatte. Aus dem schriftlichen und mündlichen Gutachten von Dr. P. geht jedoch – weil im Beweisbeschluß nicht danach gefragt wurde – nichts über den Zeitpunkt des Eintritts und den Grad der Berufsunfähigkeit hervor. Er legt seiner Beurteilung den Zeitpunkt der Untersuchung im Januar 1994 zugrunde und stellt zum Gesundheitszustand des Klägers in der Vergangenheit lediglich fest, daß er sich seit der Begutachtung durch Prof. Dr. R. im März 1991 eher gebessert habe. Zur Frage der Berufsunfähigkeit enthält dessen im Schadensersatzprozeß des Klägers zur Frage der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit eingeholtes Gutachten keine Feststellungen.
c)
Ob die Beklagte den Kläger auf einen Vergleichsberuf verweisen kann, läßt sich erst beurteilen, wenn über die vom Kläger zuletzt ausgeübte konkrete Berufstätigkeit die erforderlichen Feststellungen getroffen sind.
d)
Das Berufungsgericht wird deshalb die Frage der Berufsunfähigkeit nach § 2 Abs. 1 und 2 oder § 2 Abs. 3 der Versicherungsbedingungen erneut zu prüfen haben. Da die Beklagte mit Schreiben vom 6. November 1990 vom Vertrag über die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung wirksam zurückgetreten ist, kommt es nach § 21 VVG darauf an, ob der Versicherungsfall vor dem Zugang des Rücktrittsschreibens eingetreten ist (vgl. Senatsurteil vom 16.6.1971 – IV ZR 91/70 – VersR 1971, 810 ff.).
II.
Sollte der Versicherungsfall vor dem Zugang der Rücktrittserklärung eingetreten sein, bleibt die Beklagte nach § 21 VVG gleichwohl zur Leistung verpflichtet.
1.
Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, die falsche Angabe des Klägers über sein Nettoeinkommen habe keinen Einfluß auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit und auch keinen Einfluß auf den Umfang der Leistung der Beklagten im Sinne dieser Vorschrift gehabt.
2.
Demgegenüber meint die Revision, die falsche Angabe habe Einfluß auf den Umfang der Leistung der Beklagten gehabt. Hätte der Kläger sein Einkommen richtig angegeben, wäre ein Vertrag mit einer geringeren Rentenzahlungspflicht zustande gekommen.
3.
Bei dieser Argumentation beachtet die Revision nicht, daß es nur im Rahmen der §§ 16, 17 VVG, nicht dagegen bei § 21 VVG darum geht, ob der nicht oder unzutreffend angegebene Umstand geeignet ist, den Entschluß des Versicherers zu beeinflussen, den Vertrag überhaupt oder zu dem gewünschten Inhalt abzuschließen (Senatsurteil vom 11.7.1990 – IV ZR 156/89 – VersR 1990, 1002 [BGH 11.07.1990 – IV ZR 156/89] unter 2 b; Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 21 Anm. 7, 10). Wenn es bei § 21 VVG schon unerheblich ist, ob der Versicherer den Vertrag überhaupt abgeschlossen hätte, ist es erst recht ohne Bedeutung, ob er den Vertrag mit einem geringeren Leistungsversprechen abgeschlossen hätte.