Sorgfaltspflicht und Treuepflicht des GmbH-Geschäftsführers


Gericht: BGH 2. Zivilsenat
Entscheidungsdatum: 23.09.1985
Aktenzeichen: II ZR 246/84
Dokumenttyp: Urteil
Quelle:
Norm: § 43 Abs 1 GmbHG
Zitiervorschlag: BGH, Urteil vom 23. September 1985 – II ZR 246/84 –
Sorgfaltspflicht und Treuepflicht des GmbH-Geschäftsführers

Leitsatz

1. Der Geschäftsführer einer GmbH hat in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren und nicht den eigenen Vorteil zu suchen; das gilt grundsätzlich auch, wenn er privat Kenntnis von einer Geschäftschance erlangt, deren Ausnutzung ihm wirtschaftlich erlauben würde, sich selbständig zu machen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. September 1984 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Berufung wegen des hilfsweise gestellten Feststellungsantrags zurückgewiesen worden ist.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Klägerin trägt 34/78 der Kosten des Revisionsverfahrens; im übrigen bleibt die Entscheidung über diese Kosten dem Berufungsgericht vorbehalten.
            Von Rechts wegen

Tatbestand

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Der Beklagte war seit dem 1. Oktober 1978 Geschäftsführer der klagenden GmbH, deren Unternehmen die Herstellung und den Vertrieb kolbenstangenloser Druckmittelzylinder zum Gegenstand hat. Im ersten Drittel des Jahres 1981 trat der Ingenieur K an den Beklagten mit Plänen für einen Druckmittelzylinder heran, der ein neuartiges Dichtungssystem aufwies, das kostengünstiger als die von der Klägerin verwandten Dichtungen war. Der Beklagte beschloß, K Idee wirtschaftlich für eigene Rechnung zu nutzen. Mit Schreiben vom 22. Juni 1981 kündigte er sein Dienstverhältnis zur Klägerin zum 31. Dezember 1981. Einvernehmlich beendeten die Parteien das Dienstverhältnis schon am 30. September 1981. Gleichzeitig vereinbarten sie, daß – mit Ausnahme der Wettbewerbsabrede – wechselseitige, aus welchem Rechtsgrund auch immer entstandene Ansprüche der Parteien erledigt seien.
2
Am 25. Juni 1981 meldete der Ingenieur K beim Deutschen Patentamt ein Patent über einen kolbenstangenlosen Druckmittelzylinder an. Der Beklagte beteiligte sich je zur Hälfte am 27. Januar 1982 an der P GmbH und am 27. Juli 1982 an der L GmbH, deren alleiniger Geschäftsführer er auch ist. Am 9. April 1982 meldete die P GmbH K Druckmittelzylinder beim Europäischen Patentamt als Patent an. Während die P GmbH auf den Märkten der Klägerin nicht tätig wird, ist die am 7. Oktober 1982 ins Handelsregister eingetragene L GmbH mit dem von K erfundenen Druckmittelzylinder Konkurrentin der Klägerin.
3
Die Klägerin hat Klage auf Schadensersatz wegen eines Konstruktionsfehlers (134.461,60 DM) und widerrechtlicher PKW-Benutzung (1.906,88 DM) sowie auf Erstattung der Karenzentschädigung (39.499,98 DM) und eines Teils der Vergütung (20.099,25 DM), insgesamt 195.967,71 DM, erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung machte die Klägerin die Karenzentschädigung und wegen des Konstruktionsfehlers 126.258,63 DM, insgesamt 165.758,41 DM, geltend. Ferner verlangt sie mit einer Stufenklage Auskunft über die Umsätze der L GmbH, hilfsweise die Feststellung, daß der Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen hat, der ihr dadurch entsteht, daß die L GmbH kolbenstangenlose Zylinder der Typen m 25, 32, 40, 50 und 63 mm herstellt und vertreibt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Nachdem der Senat die Revision nur teilweise angenommen hat, verfolgt der Kläger nur den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung weiter.

Entscheidungsgründe

4
Die Revision führt zur Zurückverweisung, soweit der Senat sie angenommen hat.
5
Das Berufungsgericht hat zur der Behauptung der Klägerin, sie hätte die Chance genutzt, K mit seiner Erfindung an sich zu binden, und zu der gegenteiligen Meinung des Beklagten, K hätte mit der Klägerin nicht abgeschlossen, nichts festgestellt, so daß in der Revisionsinstanz davon auszugehen ist, daß die Klägerin die Erfindung hätte abkaufen oder mit ihm zusammen hätte auswerten können. Das Berufungsgericht ist der rechtlich zutreffenden Ansicht, daß die Erfindung eines kostengünstigen Dichtungssystems der Klägerin eine Geschäftschance eröffnet hat, wie sie ein Geschäftsführer regelmäßig nicht für sich selbst ausnutzen darf, weil er grundsätzlich ihren Interessen den Vorrang vor den eigenen einzuräumen hat. Gleichwohl meint das Berufungsgericht, daß der Geschäftsführer, sollte diesem nicht jeder Wechsel in die berufliche Selbständigkeit unmöglich gemacht werden, Angebote, die ihm persönlich gemacht werden, seinem Arbeitgeber nicht offenlegen müsse, wenn er sich entschlösse, aus dessen Diensten auszuscheiden. Zumindest stelle ein solches Verhalten keinen groben vorsätzlichen Pflichtverstoß dar, so daß ein eventueller Ersatzanspruch von dem wechselseitigen Verzicht erfaßt worden sei, den die Parteien am 30. September 1981 vereinbart hätten.
6
Diese Ausführungen greift die Revision mit Erfolg an. Nach § 43 Abs. 1 GmbHG hatte der Beklagte als Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Klägerin die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu wahren und in diesem Rahmen die Pflicht, in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Klägerin berührten, allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge zu haben (vgl. Sen.Urt. v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, LM BGB § 626 Nr. 14; v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, LM GmbHG, § 46 Nr. 17; v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, WM 1983, 498, 499). Für den Gegenstand des von der Klägerin betriebenen Unternehmens, die Herstellung und den Vertrieb von kolbenstangenlosen Druckmittelzylindern, war das von K erfundene Dichtungssystem nicht nur insofern vorteilhaft, als es der Klägerin erlaubt hätte, die Zylinder kostengünstiger herzustellen und damit ihre Lage gegenüber ihren bisherigen Wettbewerbern zu verbessern; die Klägerin hätte, wenn sie K an sich gebunden hätte, zugleich verhindert, daß dessen kostengünstigeres Dichtungssystem in Konkurrenz zu ihrem eigenen, mit höheren Herstellungskosten belasteten System trat. Der Beklagte hätte sich daher schon kraft Gesetzes und unabhängig von der aus seinem Anstellungsvertrage ausdrücklich folgenden Verpflichtung, die technische Entwicklung auf den für die Klägerin interessanten Märkten zu beobachten, mit der für einen Geschäftsführer gebotenen Sorgfalt darum bemühen müssen, das Geschäft zwischen der Klägerin und K zustande zu bringen.
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Anders als das Berufungsgericht annimmt, ist es unerheblich, ob K seine Erfindung an den Beklagten privat oder in dessen Eigenschaft als Geschäftsführer der Klägerin herangetragen hat. Die Verpflichtung des Geschäftsführers, den Vorteil der Gesellschaft zu wahren und Schäden von ihr abzuwenden, hängt nicht davon ab, ob der Geschäftsführer von den Geschäftschancen seiner Gesellschaft und den ihr drohenden Schäden anläßlich einer dienstlichen oder privaten Besorgung Kenntnis erlangt hat. Solange der Geschäftsführer bestellt ist, ist seine Sorgfalts- und Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft unteilbar.
8
Die Pflichtwidrigkeit des Beklagten, die Geschäftschance für die Klägerin nicht genutzt und die Konkurrenz nicht verhindert zu haben, ist auch nicht deshalb gerechtfertigt oder von vornherein nicht als solche zu werten, weil der Beklagte K Erfindung nicht schon während der Dauer seines aus dem Anstellungsverhältnis zur Klägerin folgenden Wettbewerbsverbots, sondern erst nach dessen Ablauf für sich ausnutzen wollte. Zwar war dem Beklagten unter diesen Voraussetzungen die eigennützige Auswertung der Erfindung nicht auch unter dem Gesichtspunkt verboten, daß er im Geschäftsbereich der Klägerin keine Geschäfte für eigene Rechnung machen durfte (vgl. BGHZ 49, 30, 31; Sen.Urt. v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321; v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, LM BGB § 626 Nr. 18). Seine während der Amtszeit bestehende Verpflichtung, die ihm anvertrauten Belange der Klägerin ohne Rücksicht auf ein persönliches Geschäftsinteresse zu fördern, blieb aber dadurch unberührt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ändert daran auch das Interesse des Geschäftsführers nichts, seine Stellung aufzugeben und sich selbständig zu machen. Der Geschäftsführer ist rechtlich nicht gehindert, sein Dienstverhältnis zu kündigen und sich einen anderen beruflichen Wirkungskreis zu suchen; er darf diesen Wechsel nur nicht unter Mitnahme einer Geschäftschance vollziehen, die für die GmbH zu nutzen, er als deren Geschäftsführer verpflichtet ist. Dabei ist es unerheblich, ob diese Geschäftschance dienstlich oder privat an den Geschäftsführer herangetragen wurde. Die Pflicht des Geschäftsführers, in allen die Gesellschaft berührenden Angelegenheiten allein deren und nicht den eigenen Nutzen im Auge zu haben, schließt eine unterschiedliche Behandlung einzelner Geschäftschancen der Gesellschaft und damit die vom Berufungsgericht angestellte Abwägung der Interessen zugunsten einer wirtschaftlichen Selbständigkeit des Geschäftsführers durch Ausnutzung einer Chance aus, von der er privat Kenntnis erlangt hat.
9
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind Ersatzansprüche, die der Klägerin aus der Pflichtverletzung des Beklagten erwachsen sind, nicht von dem Verzicht erfaßt worden, den die Klägerin am 30. September 1981 erklärt hat. Das Berufungsgericht (BU, S. 19) hat in anderem Zusammenhang diese Erklärung ohne Rechtsfehler dahin ausgelegt, daß die Klägerin nicht auf Ersatzansprüche verzichten wollte, die aus vorsätzlichen Vertragsverletzungen entstanden sind (vgl. Sen.Urt. v. 24.3.1960 – II ZR 175/59, WM 1960, 805, 806 unter III; BGH, Urt. v. 20.12.1983 – VI ZR 19/82, LM BGB § 133 (B) Nr. 23). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben; denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Beklagte die Chance für die Klägerin vorsätzlich nicht genutzt, um sie später für eigene Rechnung nutzen zu können. Die Ausführungen des Berufungsgerichts sind lediglich insofern rechtsfehlerhaft, als das Berufungsgericht von einem umfassenderen Verzichtswillen ausgeht und davon nur solche Ersatzansprüche ausnimmt, die auf einer groben vorsätzlichen Pflichtverletzung beruhen (BU, S. 22, 24); eine vorsätzliche Pflichtverletzung genügt.
10
Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, da sie davon abhängt, ob das Geschäft bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten mit der Klägerin zustande gekommen wäre. Damit das Berufungsgericht hierzu Feststellungen trifft, wird die Sache zurückverwiesen.
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