Das äußere Bild einer Entwendung


OLG Hamm, r+s 95, 126

Die Berufung des Klägers gegen da am 19. September 1995 verkündete Urteil der 23. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer abgeschlossenen Kaskoversicherung wegen des Diebstahls seines Pkw am 06.01.1995 in … in Anspruch. Die Beklagte bestreitet den Diebstahl und hat sich auf Obliegenheitsverletzung wegen unrichtiger Angaben zur Laufleistung, zur Höhe des Vorschadens und zum Aufbewahrungsort der Schlüssel und deswegen berufen, weil der Kläger mehrfache Nachfragen der Beklagten zu entscheidungserheblichen Dingen schlechthin unbeantwortet gelassen habe. Ferner liege Leistungsfreiheit wegen grober Fahrlässigkeit vor, weil der Kläger unstreitig einen Fahrzeugschlüssel und die Fahrzeugpapiere in dem Fahrzeug gelassen habe.

Das Landgericht hat aus dem letztgenannten Gesichtspunkt die Klage abgewiesen, hat aber darauf hingewiesen, daß es die Prüfung der Ursächlichkeit des Verhaltens des Klägers zum Schadeneintritt übersehen habe.

Die Berufung des Klägers hat im Ergebnis keinen Erfolg.

1.

Allerdings kommt Leistungsfreiheit wegen grober Fahrlässigkeit (§61 VVG) nicht in Betracht. Es mag zwar grob fahrlässig sein, Fahrzeugschlüssel und Fahrzeugpapiere im Fahrzeug zu deponieren. Es läßt sich aber nicht feststellen, daß dieses Fehlverhalten ursächlich für den Versicherungsfall Diebstahl geworden ist (zuletzt BGH VersR 96, 621 zum Kfz-Schein).

2.

Die Beklagte ist auch nicht wegen Obliegenheitsverletzung in Bezug auf unrichtige Angaben zur Laufleistung, der Höhe des Vorschadens und zu den Schlüsseln leistungsfrei.

a)

Die Beklagte mag Anlaß zu der Vermutung haben, daß die vom Kläger mitgeteilte Laufleistung von 70.000 km in Anbetracht der vorhergehenden jährlichen Laufleistung von 25.000 km zu niedrig angegeben ist. Der Kläger hat aber insoweit mitgeteilt, in den letzten 15 Monaten nur wenig mit dem Fahrzeug gefahren zu sein. Beweis dafür, daß dies unrichtig ist, hat die Beklagte nicht angetreten.

b)

Soweit in der Schadenanzeige angegeben worden ist, der Vorschaden habe eine Größenordnung von 1.000,00 DM gehabt, ist dies unrichtig, tatsächlich waren 3.000,00 DM für die Behebung erforderlich. Insoweit liegt in objektiver Hinsicht zwar eine Obliegenheitsverletzung vor. Der Kläger hat aber aus freien Stücken in der von der. Beklagten übersandten Checkliste den Vorschaden einige Tage später sogar mit 3.200,00 DM angegeben. Er hat der Beklagten auch die Überprüfung durch Mitteilung der Werkstatt ermöglicht. Die Darstellung des Klägers, bei der Abfassung der Schadenanzeige habe er sich nicht richtig erinnert, er habe nach Erhalt der Checkliste sich das Gutachten erst vom Gutachter besorgt und dann die richtigen Angaben gemacht, erscheint unter diesen Umständen glaubhaft. Die Vorsatzvermutung des §6 Abs. 3 VVG ist damit widerlegt.

c)

Hinsichtlich der Schlüssel liegt schon objektiv keine Obliegenheitsverletzung vor. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten stets angegeben, daß sich der Reserveschlüssel im Auto befunden und mit diesem entwendet worden ist. Soweit es im Polizeiprotokoll (BA 1 R) heißt, 2 Schlüssel seien bei der Versicherung, 1 Schlüssel sei beim Halter, kann ein Mißverständnis vorliegen. Jedenfalls liegt in einer etwaigen Falschangabe gegenüber der Polizei keine Obliegenheitsverletzung.

3.

Die Beklagte ist aber deshalb leistungsfrei, weil der Kläger die sachdienlichen Fragen der Beklagten zu den Umständen der unterschiedlichen Angaben zur Höhe des Vorschadens, zum Aufbewahrungsort des dritten Schlüssels und zur Laufleistung trotz mehrfacher Nachfrage schlechthin unbeantwortet gelassen und mit sofortiger Klageerhebung beantwortet hat.

a)

Die Fragen der Beklagten waren sachdienlich. Es ist Aufgabe eines Versicherers, den Sachverhalt aufzuklären. Der VN ist gehalten, alles zu tun, was zur Aufklärung es Tatbestands dienlich sein kann (§7 I 2 S. 4 AKB). Es ist insoweit offenkundig, daß noch eine Erklärung des VN dazu ausstand, worauf es beruht, daß der Kläger in den ersten Jahren jährlich jeweils 25.000 km gefahren war, während er in den letzten 15 Monaten vor dem behaupteten Diebstahl lediglich 10.000 km gefahren sein will. Es ist ebenso offenkundig, daß es für den Versicherer von besonderem Interesse ist zu erfahren, wo die einzelnen Fahrzeugschlüssel sich im Zeitpunkt des Diebstahls befunden haben. Es versteht sich deshalb von selbst, da der Kläger die noch ausstehenden Angaben hierzu machen mußte. Der Kläger war aber auch verpflichtet zu erläutern, wie es zu den unterschiedlichen Angaben zur Höhe des Vorschadens gekommen ist. Denn hiervon hing die Frage der Leistungsverpflichtung der Beklagten ab. Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung setzt einen vorsätzlichen Verstoß voraus, der nicht allein deshalb feststeht, weil die Angaben in der Schadenanzeige objektiv unrichtig sind.

b)

Die Fragen der Beklagten sind trotz wiederholter Schreiben der Beklagten vom 02.02., 16.02. und 16.03.1995 unbeantwortet geblieben. Wie der Zeuge … mitgeteilt hat, hat der Sachbearbeiter der Beklagten auf fernmündliche Nachfrage des Anwaltes darüber hinaus auch fernmündlich darauf bestanden, die gestellten Fragen beantwortet zu erhalten. Dadurch, daß der Kläger diese Fragen unbeantwortet gelassen hat, hat er in objektiver Hinsicht gegen die ihm aus §7 I 2 AKB ergebende Verpflichtung verstoßen. Darauf, daß nach der Rechtsprechung des Senats das Offenlassen von Fragen zur Leistungsfreiheit in der Regel nur führen kann, wenn der Versicherer zeigt, daß es ihm auf die Frage ankommt und er deshalb nachfragt (VersR 94, 590 = R + S 94, 126), kommt es im Streitfall nicht an.

c)

Die Obliegenheitsverletzung ist vorsätzlich erfolgt (§6 Abs. 3 VVG).

aa)

Allerdings hat der Kläger selbst nicht vorsätzlich gehandelt. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ist der Kläger mit den beiden Schreiben, die er zunächst erhalten hat, zu den … und … gegangen und hat diese mit der Erledigung beauftragt.

bb)

Der Kläger muß sich aber das Verhalten seiner Anwälte zurechnen lassen. Diese waren seine Wissenserklärungsvertreter. Wissenserklärungsvertreter ist, wer vom VN mit der Erfüllung von Obliegenheiten betraut worden ist und die Erklärung anstelle des VN abgibt (BGH VersR 93, 960 = R + S 93, 281; VersR 95, 281 = R + S 95, 81). Insoweit steht das pflichtwidrige Unterlassen einer gebotenen Mitteilung der falschen Angabe gleich (BGH VersR 93, 828 = R + S 93, 321 unter UA 3 c, der allerdings die Rechtsfigur des Repräsentanten bemüht). Wissenserklärungsvertretung setzt ebensowenig wie im Vertretungsrecht, dem die Rechtsfigur des Wissenerklärungsvertreters entlehnt worden ist voraus, daß der Vertreter nur eigenes Wissen weiter gibt. Es genügt, wenn er von dem Auftraggeber beauftragt ist, von diesem mitgeteiltes Wissen weiterzugeben. Der Umstand, daß die Anwälte des Klägers die Fragen nicht aus eigenem Wissen beantworten konnte, ist deshalb ohne Belang. Da der Kläger seine Anwälte auch damit beauftragt hatte, die Erklärung an seiner Stelle abzugeben, liegen die Voraussetzungen der Zurechnung über die Rechtsfigur des Wissenserklärungsvertreters vor.

cc)

Die für Vorsatz sprechende Vermutung des §6 Abs. 3 VVG ist jedenfalls in der Person des Zeugen … nicht widerlegt. Er wußte aus seinem Telefonat mit dem Sachbearbeiter der Beklagten, daß diese auf der Beantwortung bereits schriftlich mitgeteilter Fragen bestand. Er wußte auch als Berufsanfänger jedenfalls aus dem Schreiben seines Kollegen … daß ein VN vertraglich verpflichtet ist, die Fragen zu beantworten, die vom Versicherer zur Entscheidung der Regulierungsfrage für unumgänglich gehalten werden. Das dazu auch die vom Beklagten gestellten Fragen gehörten, war offensichtlich. Die Erklärung des Zeugen, der Kläger habe ja mitgeteilt gehabt, er habe schon alles beantwortet, vermag ihn nicht zu entlasten. Dies war der Sache nach erkennbar unrichtig. Daß der Zeuge dies nicht bemerkt hat, kann um so weniger zu seinen Gunsten angenommen werden, als er zur Vorbereitung der Klage den Streitstoff ohnehin durcharbeiten mußte.

d)

Die Beklagte hat sich auf Leistungsfreiheit auch aus diesem Gesichtspunkt berufen. Die Voraussetzungen der sog. Relevantheorie liegen vor. Die Pflichtverletzung war generell geeignet, die auf eine ordnunsgemäße Bewertung des Versicherungsfalles gerichteten Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden. Es handelt sich auch nicht um ein Verhalten, das auch einem ordentlichen VN leicht unterlaufen kann und für das ein einsichtiger Versicherer deshalb Verständnis aufzubringen vermag (BGH VersR 84, 228). Letztlich ist der Kläger in der Checkliste über die Rechtsfolgen der Leistungsfreiheit ausreichend belehrt worden.

Nach allem ist die Beklagte leistungsfrei. Auf die Frage, ob der Versicherungsfall bewiesen ist, kommt es nicht weiter an. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §97, 708 Nr. 10 ZPO.

Die Beschwer des Klägers übersteigt 60.000,00 DM nicht.